Wenn Abfallgebühren zur Geheimsache werden

Wenn Abfallgebühren zur Geheimsache werden

Wenn Abfallgebühren zur Geheimsache werden 150 150 Klaus Henning Glitza

Die Blackbox von Düsseldorf – Einblicke in Kalkulationsgrundlagen werden verwehrt

Gebühren müssen transparent sein, heißt es immer wieder. Die Bürger sollen schließlich wissen, weshalb sie für eine bestimmte Leistung die Summe X bezahlen müssen und keine andere. Doch das ist mitunter nichts als graue Theorie. Ein Beispiel dafür ist die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Düsseldorf.

Dort, an den Ufern des Rheins, dürfen die Bürger für die Abfallentsorgung zwar kräftig in die Geldbörse greifen. Aber erfahren, wie sich die Gebühren zusammensetzen, das dürfen sie nicht. Dabei gibt es einen gewichtigen Grund, einmal nachzufragen. Düsseldorf gehört in puncto Abfall zu den teuersten Kommunen in ganz Nordrhein-Westfalen. Ratingen, eine Stadt im unmittelbaren Umfeld der Landeshauptstadt, gehört dagegen zu den günstigsten Standorten des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. Das wirft Fragen auf, doch eine offizielle Antwort gibt es nicht.

Seltsame Erfahrungen mit der Geheimsache Düsseldorfer Abfallgebühren machten nicht nur einzelne Bürger, sondern auch ein kompletter Verband-und beileibe nicht der Kleinste. Es handelt sich um Haus und Grund Düsseldorf und Umgebung e.V. Eine seit mehr als 100 Jahren bestehende Interessengemeinschaft der privaten Eigentümer- vom Mietshausbesitzer bis zum Eigentümer einer Ein-Zimmer- Wohnung. Mit über 16.000 Mitgliedern einer der ganz großen Verbände in Nordrhein-Westfalen.

Die Abfallentsorgung in Düsseldorf gehört zu den teuersten im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Doch Fragen, weshalb das so ist, werden nicht vollständig beantwortet. Foto: AWISTA GmbH Düsseldorf

Da die hohen und oft nicht nachvollziehbaren Abfallgebühren in Düsseldorf schon seit Jahren Eigentümern und Mietern ein Dorn im Auge waren, ergreifen Ingo Apel, damaliger Vorsitzender von Haus und Grund Düsseldorf, und sein Justitiar, der Rechtsanwalt Dr. Werner Fliescher, im Jahr 2013 die Initiative. Apel spricht gegenüber örtlichen Medien Klartext. Die gängige Gebührenpraxis sei „Betrug am Bürger“, sagte er.

In der Tat gehörte Düsseldorf schon damals in Sachen Abfallentsorgung zu den teuersten Kommunen Nordrhein-Westfalens. Apel und Dr. Fliescher, der heute Vorsitzender ist, vermuten, dass den hohen Gebühren satte Gewinne des örtlichen Entsorgungsunternehmens AWISTA Gesellschaft für Abfallwirtschaft und Stadtreinigung mbH zu Grunde liegen. „Wenn die Gebühren in dieser Höhe ungerechtfertigt sind, zahlen alle Bürger drauf”, konstatierte der Haus-und- Grund-Justitiar damals.

Klarheit hätte hier ein Gutachten über die Leistungen der AWISTA aus dem Jahr 2005 bringen können. Das städtische Umweltamt hatte es in Auftrag gegeben. Als die beiden Verbandsvertreter das Gutachten anfordern wollten, erlebten sie eine Überraschung. Die Stadt verweigerte die Einsicht mit dem Argument, dass Geschäftsgeheimnisse der AWISTA GmbH preisgegeben werden könnten. Haus und Grund klagte- doch das angerufene Verwaltungsgericht teilte die Rechtsauffassung der Stadt Düsseldorf und schmetterte die Klage ab. „Vor dem Europäischen Gerichtshof wäre eine solche Gerichtsentscheidung mit größter Sicherheit kassiert worden“, ist sich ein Düsseldorfer Jurist sicher. Aber eine Klage vor dem kurz EuGH genannten obersten Gericht der EU ist eine teure Angelegenheit. Gerichts- und Anwaltskosten müssen vorfinanziert werden. Selbst ein so großer Verband wie Haus und Grund Düsseldorf und Umgebung schreckte vor einer solchen Belastung zurück.

Wohlgemerkt: Wenn etwas als geheim erklärt wird, dann soll das meist zu Recht davor schützen, dass Unbefugte sich Know-how aneignen können. Das erscheint logisch und nachvollziehbar. Aber welchen Sinn sollte es machen, wenn die Kostenkalkulationen von Abfallgebühren einer kompletten Großstadt zur „Blackbox“ erklärt werden? Bestand etwa die Furcht, dass Haus und Grund ein Konkurrenzunternehmen eröffnet?

Dabei hatten Apel und Fliescher seinerzeit weitaus mehr als nur ein Bauchgefühl. Bei Nachprüfungen fielen ihnen eine Reihe von Ungereimtheiten auf. Die angegebenen Personalkosten erschienen selbst unter Berücksichtigung der Lohnnebenkosten als viel zu hoch. „Da werden anscheinend auf Kosten der Angestellten Gewinne generiert“, so ein Düsseldorfer Jurist.

Rätsel gab auch die Müllverbrennung auf, die zu einem wesentlichen Teil die Gesamtgebühren beeinflusst. Die um ein Vielfaches überdimensionierte Anlage in Düsseldorf-Flingern (weit weniger als die Hälfte des verbrannten Mülls stammt aus Düsseldorfer Haushalten) schreibt ihre Rechnungen nach unterschiedlichen Maßstäben. Während der Müll der Rheinmetropole mit 207 Euro pro Tonne abgerechnet wurde, zahlen Fremdanlieferer nur einen Bruchteil davon. Eine 2016 veröffentlichte Untersuchung des Bundes der Steuerzahler stellt fest, dass in der Müllverbrennungsanlage Düsseldorf-Flingern Restmüll aus der Stadt Mönchengladbach für einen Preis von 70,20 Euro pro Tonne verbrannt wird. Die MVA wird von der Stadtwerke Düsseldorf AG betrieben, dem Hauptgesellschafter der AWISTA GmbH.

Und: Die Müllverbrennungsanlage in Flingern erzielt nicht nur durch Verbrennungsentgelte Einnahmen, sondern auch durch Fernwärme und Stromerzeugung. Entsprechende Gutschriften an die Bürger suchten Apel und Fliescher aber vergeblich.

Die Zentrale der AWISTA GmbH in Düsseldorf, Die Stadtwerke residieren direkt daneben. Foto: AWISTA GmbH Düsseldorf

Betrachten wir einmal genauer die Stadtwerke AG Düsseldorf und die AWISTA GmbH. Stadtwerke, das klingt vordergründig nach kommunalem Unternehmen. Bei Licht besehen haben aber die Stadtwerke Düsseldorf mit der Stadt Düsseldorf nur am Rande zu tun. Hauptgesellschafter ist mit 54,95 Prozent EnBW Energie Baden-Württemberg AG. 20 Prozent hält die GEW Köln AG. Lediglich mit einer Sperrminorität von 25,05 Prozent ist die Holding der Landeshauptstadt Düsseldorf dabei.

Die Stadtwerke Düsseldorf AG sind an der AWISTA GmbH mit 51 Prozent beteiligt. 49 Prozent hält REMONDIS Kommunale Dienste Rheinland GmbH. An dieser Gesellschaft wiederum war in früheren Jahren EnBW mit 49 Prozent beteiligt. Mehr Verflechtung geht kaum.

Obwohl Remondis Minderheitsgesellschafter ist, geben Manager praktisch den Ton an. Beide Geschäftsführer der AWISTA GmbH sind sehr eng mit Remondis verflochten. So fungiert der Sprecher der Geschäftsführung, ein Mann, der aus der ehemaligen Trienekens AG kommt, gleichzeitig als Geschäftsführer der Remondis Rhein-Wupper GmbH & Co. KG, Düsseldorf. Auch sein Geschäftsführerkollege war im Projektmanagement der Remondis GmbH Rheinland, Köln, tätig. Bis 2009 war er Geschäftsführer der heutigen Adrion Recycling GmbH, Langenfeld, einer Gesellschaft mit Mehrheitsbeteiligung der Remondis GmbH & Co. KG.

Die Müllverbrennungsanlage (MVA) in Düsseldorf-Flingern. Auch um die Kosten der “thermischen Verwretung” gibt es einen Disput. Foto: AWISTA GmbH Düsseldorf

Die AWISTA ist ein blühendes Unternehmen. Der jüngste Jahresanschluss aus dem Jahr 2015 weist einen Bilanzgewinn von 18.340.379 Euro aus. Davon dürfte die Stadt Düsseldorf -entsprechend ihrer Anteile am Unternehmen- aber nur einen Bruchteil erhalten. Kurios: Trotz der üppigen Gewinne werden die Gebühren erhöht. Es sieht ganz danach aus, als würden alle Kosten auf die Gebührenzahler umgelegt, während die Gewinne überwiegend in privaten Kassen landen“, mutmaßt ein Insider.

Den Rat der Stadt Düsseldorf ficht dies alles offenbar nicht an. Das Kommunalparlament hat sich in seiner Juli-Sitzung 2016 dafür ausgesprochen, die 2018 auslaufenden Konsortialverträge mit der AWISTA GmbH um weitere fünf Jahre zu verlängern. Und dies ohne Preisverhandlung, wie sie sich viele Gebührenzahler aufgrund der hohen Gebühren erhofft hatten. Nach gesetzlichen Vorgaben hätte auch neu ausgeschrieben werden müssen. Der Tagesordnungspunkt wurde in den nichtöffentlichen Teil der Ratssitzung verlegt und dort „nach Vorlage“, also ohne jede Debatte, abgehandelt. Die Chance, durch Neuausschreibung ein günstigeres Angebot zu erhalten, wurde vertan.

Dabei ist die AWISTA GmbH auch für die Beschäftigten nicht der reine Segen. Wie der örtlichen Presse zu entnehmen war, wurden nach Eintritt von Remondis straffe Sparmaßnahmen eingeleitet. Etwa 30 Prozent des Personals wurde „wegrationalisiert“. Andere AWISTA-Mitarbeiter wurden in Nebengesellschaften, zum Beispiel AWISTA Logistik umgegliedert, um Lohnkosten zu sparen.

Auch das gehört zu Düsseldorfs schöner neuer Welt des Abfalls.

 

Stellungnahmen AWISTA und Stadt Düsseldorf

Nach Redaktionsschluss dieses Beitrages trafen die folgenden Stellungnahmen ein.

Ein Sprecher der Stadt Düsseldorf:

Über die Frage der Herausgabe des angesprochenen Gutachtens wurde ein Rechtsstreit geführt, in dem Haus und Grund unterlag. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat im Jahr 2015 entschieden, dass kein Anspruch auf Herausgabe besteht, da mit Übermittlung des Gutachtens Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der AWISTA GmbH offenbart würden. Das Urteil ist rechtskräftig.

Elke Brauer, AWISTA Gesellschaft für Abfallwirtschaft und Stadtreinigung GmbH, Unternehmenskommunikation:

Bei dem von Ihnen angesprochenen “Disput” (zwischen Haus und Grund und der Stadt Düsseldorf-die Redaktion)  handelt es sich um ein Verfahren über die Abfallgebühren in Düsseldorf zwischen Haus und Grund und der Landeshauptstadt Düsseldorf. Bei Fragen zu diesem  Thema wenden Sie sich bitte an das Presseamt der Stadt Düsseldorf. Vielen Dank.
Eine AWISTA- Mitarbeiterin teilte außerdem telefonisch, dass die Abfallgebühren von der Stadt Düsseldorf festgelegt werden.

 

Der Kommentar

Von „Mondpreisen“ und „Zwangskunden“

Von Klaus-Henning Glitza

Stellen Sie sich einmal vor, Sie bekommen eine Handwerkerrechnung präsentiert. Die kommt Ihnen merkwürdig hoch vor. Sie wittern einen „Mondpreis“. Zumal Sie wissen, dass Bekannte ein paar Orte weiter für die gleiche Dienstleistung sehr viel weniger bezahlen. Sie fragen den Handwerker, wie er auf diese Rechnungssumme kommt, und erhalten die „nette“ Antwort: Das geht Sie gar nichts an. Sie ziehen vor Gericht und bekommen von den Richtern zu hören: „Die Kalkulation ist ein Geschäftsgeheimnis.“. Also zahlen Sie. Ohne Wenn und Aber.

Und noch eins: Zu einem anderen Handwerker dürfen Sie eh nicht gehen. Sie sind ein so genannter Zwangskunde- wie früher beim Bezirksschornsteinfegermeister.

Ganz sicher: Ein Sturm der Entrüstung würde durch Deutschland gehen, wenn es eine solche Rechtslage gebe. Und Sie würden sich fragen: Kann so etwas normal sein?

Doch bei der Abfallentsorgung ist es genauso wie oben geschildert. Für Sie als Verbraucher gibt es keine Ausweichmöglichkeiten. Den Stromanbieter zu wechseln, erfordert nur wenige Mausklicks, doch bei der Abfallentsorgung sind die Verbraucher unweigerlich an einen Dienstleister gebunden. Juristen sprechen denn auch von einer „Zwangskundenstellung“- kein netter Begriff.

Einzelne Kritik gibt es wohl- doch keinen wirklichen Sturm der Entrüstung. Obwohl man doch meinen könnte, dass niemand gerne Zwangskunde sein möchte. Den Bezirksschornsteinfeger, der das absolute Monopol für einen bestimmten Bereich hat, gibt es schließlich schon länger nicht mehr.

Aus gutem Grund.

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