Martin Wittmann: “Das Schlimme ist, dass alles auf einmal kommt“

Martin Wittmann: “Das Schlimme ist, dass alles auf einmal kommt“

Martin Wittmann: “Das Schlimme ist, dass alles auf einmal kommt“ 150 150 Klaus Henning Glitza

Von der schwierigen Lage der Textilrecycler / Interview mit dem bvse-Fachverbandsvorsitzenden

 

Martin Wittmann ist bvse-Fachverbandsvorsitzender und einer der Geschäftsführer des Traditionsunternehmens Wittmann. Foto: Lorenz Wittmann GmbH

Kaum ein Dorf ohne Depotcontainer für Altkleider. Wir haben uns daran gewöhnt: Wenn Kleidungsstücke zu klein, zu eng geworden oder aus der schnelllebigen Mode gekommen sind, können wir auf bewährte ortsnahe Alternativen zur Verbrennung zurückgreifen. Jetzt steht das „bisher kostenfreie hochwertige System des Alttextilkreislaufs kurz vor dem Kollaps“, wie kürzlich der Vorstand im Fachverband Textilrecycling im Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) gewarnt hat.  Corona-bedingte Folgen und Verhaltensänderungen scheinen jetzt das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen zu bringen. EM sprach mit Martin Wittmann, dem Vorsitzenden des Fachverbandes Textilrecycling und Vizepräsidenten des bvse.

EM: Die Corona-Krise hat auch jene Betriebe, die Alttextilien erfassen, sortieren und verwerten, mit Macht getroffen. Herr Wittmann, wie ist die gegenwärtige Situation? Ist die Branche akut gefährdet?

Martin Wittmann: Das Schlimme ist, dass alles auf einmal kommt. Einfach war die Situation schon in den zurückliegenden Jahren nicht- und jetzt kommt auch noch Corona dazu.  Zurzeit gehen die Erlöse nach Abzug der Kosten gegen null. Viele Unternehmen leben derzeit von der Substanz, also von den Gewinnen früherer Jahre.  Die Lage ist mehr als schwierig. Es kommen weitaus mehr an Mengen rein als rausgehen. Die Lager quellen über, während die Absatzmärkte, beispielsweise in Osteuropa und Afrika, völlig zum Erliegen gekommen sind. Nicht ohne Grund mussten diverse Container gesperrt oder sogar abgebaut werden. So bleibt der Branche die Hoffnung, dass es bald wieder aufwärts geht, unsere Kunden die Kapazitäten wieder hochfahren und wir diese Krise auch noch durchstehen können.

EM: Einige Second-Hand-Märkte in Osteuropa und Afrika sind durch staatliche Eingriffe geschlossen worden. Teils, weil sie dem Shutdown unterliegen, teils, weil angeblich durch Textilien Corona-Viren übertragen werden können.

Martin Wittmann: Dass von Textilien Ansteckungsgefahren ausgehen, ist blanker Unsinn. Es ist erwiesen, dass sich die Viren auf textilen Oberflächen nicht halten können. Ich halte das für absolute Symbolpolitik ohne wissenschaftliche Grundlage. Leider verschärfen diese unbegründeten Importverbote nur die ohnehin schon schwierige Situation.

EM: Leidet die Branche nach wie vor unter Engpässen beim Personal?

Martin Wittmann: Das ist leider so. Wir arbeiten zurzeit mit 20 Prozent weniger Personal. Beispielsweise sind nach den Osterfeiertagen Fahrer nicht mehr aus Tschechien wiedergekommen, weil sie in dieser unsicheren Zeit bei ihren Familien bleiben wollten und die Einreise eine wochenlange Quarantäne zur Folge gehabt hätte. Ersatzweise Fahrer zu bekommen, das betrifft alle Branchen, ist gegenwärtig mehr als schwierig.

EM: Mit welchen Maßnahmen können ihre unmittelbaren Partner, die Kommunen gegensteuern, um die kritische Situation zu entspannen?

Passiert gerade in Corona-Zeiten häufiger: Wenn die Container überfüllt sind, werden Kleiderspenden einfach neben den Behältern abgelegt. Ein Regenguss oder eine Verschmutzung durch Aufreißen der Plastiktüten genügt- und die Kleidung ist für den Second-Hand-Markt verloren. Foto: K H Glitza

Martin Wittmann: Von den kommunalen Partnern wünschen wir uns, dass wir uns gemeinsam an einen Tisch setzen und über Lösungswege sprechen. Die Gebühren und Mieten für die Aufstellung von Containern sind in der Zeit vor Corona, zum Teil auch in den Boom-Jahren 2012 bis 2014, vereinbart worden und müssen jetzt, im Zeichen höherer Gewalt, auf den Prüfstand gestellt werden.  Der Großteil der Kommunen ist gesprächsbereit, weil es ja letztlich auch um die Entsorgungssicherheit geht. Nur wenige Gebietskörperschaften verweigern sich Nachverhandlungen.  Doch in dieser schwierigen Zeit sollte gelten: Gemeinsam statt gegeneinander. In der Krise müssen wir alle zusammenstehen.

EM: Aus allen Nähten platzende Depotcontainer sind aber nur eines der Probleme. Hinzu kommt eine besorgniserregende Fehlentwicklung, wie Sie unlängst feststellten. Kleiderspenden, aber auch textilfremde Abfälle werden einfach neben die übervollen Container gestellt. Eine zusätzliche Verschärfung der ohnehin schon kritischen Lage?

Martin Wittmann: Kleiderspenden, die neben die Container gestellt werden, müssen in den meisten Fällen in die Verbrennung gegeben werden, weil sie verschmutzt oder nach Regenfällen durchfeuchtet worden sind. Das Motiv der Spender, etwas Gutes zu tun, wird also auf den Kopf gestellt. Stattdessen wird zusätzlicher Müll produziert.

Unsere herzliche Bitte: Sind die Container überfüllt, nehmen Sie die Altkleider wieder mit nach Hause und warten Sie eine bessere Entsorgungsmöglichkeit ab. So sorgen Sie dafür, dass die gebrauchten Textilien bestimmungsgemäß verwertet werden können.

Ein Problem sind auch sortenfremde Abfälle, zum Beispiel Haus- und Restmüll, die wir vermehrt neben den Depotcontainern finden.  Das gab es in früheren Jahren in geringerem Umfange auch schon. Damals haben wir noch ein Auge zugedrückt, aber aktuell können angesichts des Verfalls der Marktpreise die zusätzlichen Entsorgungskosten unmöglich auch noch tragen. Momentan beobachten wir zehn bis 20 Prozent Fehlwürfe. Dieser Fremdanteil ist sowohl ökologisch als auch ökonomisch eine Katastrophe.

EM: Schon seit Jahren machen Discount-Textilien aus minderwertigen Billig-Fasern den Recyclern das Leben schwer. Die Produktion verbraucht Unmengen an Energie und Rohstoffen, die Kleidung als solche kann aber kaum wiederverwertet werden. Kaum gekauft, ist sie auch schon Müll von morgen.  Ein verhängnisvoller Trend für Umwelt, Klimaschutz und die Textilrecycler?

Martin Wittmann:  In der Tat werden die Qualitäten immer schlechter. Kleidungsstücke aus minderwertigen Chemiefasern verlieren nach wenigen Waschgängen komplett die Form und taugen dann nur noch für die Container. Als Second-Hand-Ware oder für die hochwertige Wiederverwendung eignen sie sich aber auch nicht mehr. Das Einzige, was man überhaupt mit ihnen noch machen kann, ist in die Reißerei geben. Doch  das deckt weder die Erfassungs- und Sortierkosten, geschweige die Kosten für das Recycling.  Wir und unser Verband, der bvse, appellieren deshalb an die Textilindustrie umzudenken. Qualität statt Quantität schaffen- das ist das Gebot der Stunde, vor allem unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit.  die Industrie muss sich der Verantwortung für Ihre Produkte nach der Entsorgung im Container bewusst werden und sollte sich generell an den Kosten des  Textilrecyclings beteiligen Gerade das Faserrecycling ist teuer und muss von der Textilindustrie mitgetragen und verbessert werden.

EM: Die Branche leidet auch zunehmend unter illegalen Praktiken. So werden, obwohl von den örtlichen Abfallbehörden nicht genehmigt, rechtswidrig Container aufgestellt oder -per Handzettel und beigelegtem Plastiksack- Haussammlungen organisiert. Wo liegen die Unterschiede zu den seriösen Sammlern?

Dass Altkleider-Sammelplätze kein Ort für Sperrmüll sind, wird vielerorts ignoriert. Für die Textilrecycler werden die Beistellungen von Sperrmüll und anderen Abfallarten zum zunehmenden Problem. Foto: Lorenz Wittmann GmbH

Martin Wittmann: Bei seriösen Unternehmen steht das zweite Leben der Kleidungsstücke, Stichwort Second Hand, im Vordergrund. Nur nicht mehr tragbare Textilen werden nach Kreislaufwirtschaftsgesetz anderweitig hochwertig verwertet. Unseriöse Sammler sind dagegen frei von solchen Selbstverpflichtungen.

Oftmals wird auch Rosinenpickerei betrieben. Nur qualitativ hochwertige Textilien werden behalten, der Rest kommt in den nächsten gewerblichen oder kommunalen Depotcontainer und sorgt für dessen Überfüllung. Für die seriösen Sammler, aber auch für die Spender bedeutet das: Ein weiteres Problem mehr.

Außerdem geht es auch um Import- und Zollvorschriften, die von Unseriösen oder sogar Illegalen oft missachtet werden. Viele zahlen noch nicht einmal den Mindestlohn. So etwas sollte niemand unterstützen.

EM: Ein verantwortungsvoller Umgang mit den Alttextilien und nachvollziehbare Verwertungswege sind von solchen Sammlern folglich nicht zu erwarten. Was raten Sie den Altkleiderspendern, damit die gutgemeinten Spenden nicht in falsche Hände geraten?

Martin Wittmann: Mein Tipp für die Aktkleiderspender: Gucken Sie sich die Container oder anderen Sammelbehälter genau an. Seriöse Dienstleister geben Anschrift, Telefonnummer, Internetadresse und den Zweck der Sammlung an. Bei unseriösen Sammlern finden Sie oft nur eine Handynummer, die in vielen Fällen gar nicht aktiv ist oder unter der sich niemand meldet.

Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist auch das Qualitätssiegel des bvse.  Es steht für Transparenz bei der Sammlung und den Verwertungswegen. Und: Wer dieses Siegel hat, verpflichtet sich auch, die Stellplätze in Ordnung zu halten.

EM: Herr Wittmann, herzlichen Dank für das Gespräch.

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Interview: Klaus Henning Glitza

Zur Person

Martin Wittmann ist Vizepräsident des bvse-Bundesverbandes Sekundärrohstoffe und Entsorgung und Vorsitzender der Fachgruppe Textilrecycling, Außerdem fungiert der Diplomkaufmann seit 2019 als Vizepräsident  von EuRIC Textiles Branch, einer länderübergreifenden Fachsparte, die die Interessen ihrer nationalen Mitgliedsunternehmen in Brüssel vertritt.

Die operative Seite des Textilrecyclings erlebt  Martin Wittmann als einer der Geschäftsführenden Gesellschafter der Lorenz Wittmann  GmbH in täglicher Praxis. Das Unternehmen mit seinen Standorten Geisenhausen, Landshut, Bottrop und Regensburg besteht seit 50 Jahren.

Vorsitzender der bvse- Fachgruppe Textilrecycling ist Martin Wittmann seit dem 13. September 2018.  Vor seiner einstimmigen Wahl hatte er dieses Amt bereits zwei Jahre kommissarisch ausgeübt.

khg

 

 

 

 

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